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Samstag, 22. März 2014
 
„Scheidungen schaffen ein Europa des Misstrauens"
Le Monde, 23.01.2014
Joëlle Garriaud-Maylam
Mitglied des französischen Senats

Im Gegensatz zu einer Scheidung ist bei der Auflösung einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft ein Eingreifen der Justiz nur bei Meinungsverschiedenheiten erforderlich.

In Europa haben 13 % der Paare unterschiedliche Staatsbürgerschaften. Die Reisefreiheit fördert Begegnungen, beginnend mit dem „Erasmus“-Programm, wie es so schön in den Filmen "L’auberge espagnole – Barcelona für ein Jahr" und " L'Auberge espagnole - Wiedersehen in St. Petersburg" gezeigt wird. Doch obwohl die Liebe europäisch ist, sind es Trennung und Scheidung weitaus weniger.

Wer es nicht selbst erlebt hat, kann sich tatsächlich nicht vorstellen, welche Tragödien eine länderübergreifende Scheidung nach sich ziehen kann.
Niemand kann sich vorstellen, dass man am Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts wegen einer Scheidung, seine Kinder nicht mehr sehen darf, ins Gefängnis gesperrt, ruiniert oder ausgestoßen werden kann.

Zunächst gilt es, das Hindernis der internationalen Zuständigkeit zu überwinden. Man sollte meinen, dass die Justizsysteme der Mitgliedstaaten vereinbaren, den letzten Wohnort oder die Staatsbürgerschaft der Beteiligten zugrunde zu legen. In Wirklichkeit verteidigen die Staaten meistens ihre Bürger, und man beobachtet ein wahres Wettrennen, bei dem derjenige, der als erster den Richter seines Landes anruft, gewinnt!

KONFLIKT MIT DEM INNERSTAATLICHEN FAMILIENRECHT

Dank der in einigen EU-Mitgliedsstaaten in Kraft getretenen Rom-III-Verordnung ist es nun möglich, bei der Eheschließung das anzuwendende Scheidungsrecht zu wählen und so unerträgliche jahrelange Verfahren zu vermeiden. Allerdings muss man deren Existenz und die Risiken grenzüberschreitender Ehescheidungen erst einmal kennen ...

Auch wenn die Zuständigkeit eines nationalen Gerichtes festgestellt ist, müssen Entscheidungen durchgesetzt werden können, die das dortige Familienrecht verletzen könnten. Niemand kann sich vorstellen, dass Dänemark Sorgerechtsentscheidungen nicht ankennt und damit faktisch die Entführung von Kindern durch einen seiner Staatsangehörigen aus einem anderen Land begünstigt.

Niemand kann sich vorstellen, dass das deutsche Recht – ebenfalls faktisch – erlaubt, die Entführung eines Kindes zu legalisieren, indem man seinem Ex-Partner vorwirft, eine Entführung „beabsichtigt“ zu haben. Der so beschuldigte Partner trägt nun die Beweislast dafür, dass er das Kind gar nicht entführen wollte.

ENDLOSE VERFAHREN

Das bedeutetet Monate oder sogar Jahre kafkaesker Verfahren, während der dieser Elternteil seine Kinder aus Angst vor Entführung nicht sehen darf. Wenige Eltern sind in der Lage, diese endlosen und extrem teuren Verfahren, für die ihnen oft die Prozesskostenhilfe verweigert wird, bis zum Ende durchzustehen.

Niemand kann sich vorstellen, dass ein Elternteil, der nachdem er erfolgreich seine Unschuld nachgewiesen hat, das Sorge- oder Umgangsrecht wiedererlangt hat, in der Praxis an der Feindseligkeit des mächtigen Jugendamtes scheitert, das es sich problemlos erlauben kann, Gerichtsentscheidungen einfach nicht umzusetzen.

Wo ist Europa in alledem? Nirgends, denn es handelt sich um zwischenstaatliche Verwaltungs- und Justizfragen, die nicht in seine Zuständigkeit fallen. Europa ist so ohnmächtig, dass man wegen einer Unterhaltsfrage mit einem europäischen Haftbefehl verfolgt und inhaftiert werden kann. Der Europäische Haftbefehl, für den Kampf gegen die Schwerkriminalität geschaffen, ist auf Abwege geraten.

WIEDERAUFLEBEN DES PARLAMENTARISCHEN AUSSCHUSSES

Der Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments hat Hunderte von Dokumenten über derartige Situationen erhalten. Allzu oft werden wir von gebrochenen Eltern angerufen, die gezeichnet sind von Verzweiflung, Ungerechtigkeit, Erwartung und finanziellem Ruin. Wir hören nicht auf, die Aufmerksamkeit aller Behörden, europäischer wie nationaler, zu fordern. Vergeblich.

"Weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen" ist keine akzeptable Antwort mehr. Die Leben von Kindern und Eltern werden zerstört, weil niemand die Verantwortung trägt.

Wann werden endlich die besten Interessen des Kindes europaweit definiert? Warum wird der deutsch-französische Vermittlungsausschuss, der von den Regierungen Schröder und Jospin in den Jahren 1999 bis 2002 eingesetzt worden war, und der beachtliche Ergebnisse erzielt hatte, nicht wiederbelebt?

Warum sollten nicht einige Staaten ihr Scheidungs- und Sorgerecht auf freiwilliger Basis angleichen? Warum werden nicht jährlich europäische Konferenzen abgehalten, bei denen die Familien-Professionen, Verwaltung, Sozialarbeiter, Richter und Anwälte endlich ihre Erfahrungen austauschen?

Es kommt nicht oft vor, dass drei Abgeordnete aus drei verschiedenen Gremien und aus verschiedenen politischen Lagern sich zu einer Tribüne zusammenschließen. Wir tun dies, um die Grundwerte zu verteidigen und konkrete Fakten aufzuzeigen. Wir haben nicht die Absicht, irgendwelche Lehren zu erteilen.

Jedes Land muss Fortschritte machen, einschließlich unseres eigenen. Nur um diesen Preis kann die europäische Bürgerschaft voranschreiten. Aber jede Eltern-Kind-Beziehung zählt. Machen wir die Verfahren menschlicher und schaffen wir das Gefühl der Eltern und der Kinder ab, als Geiseln den Händen der Ungerechtigkeit ausgeliefert zu sein, manchmal derjenigen ihres eigenen Landes.

Philippe Boulland (Europaabgeordneter (UMP - EVP))

Joëlle Garriaud - Maylam (Senatorin der Franzosen im Ausland (UMP))

Pierre- Yves Le Borgn' (Abgeordneter der Franzosen im Ausland (PS ))

Lesen Sie den Neitrag im französischen Originalext hier.

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