Montag, 1. November 2010
 
Das Ende der Zuschauerdemokratie
Elemente der direkten Demokratie sind für die Politik unbequem - na und? Die "politische Klasse" muss sich eben um die Zustimmung des eigentlichen Souveräns bemühen: den Bürger.
sueddeutsche.de 31.10.2010
Gastkommentar von Burkhard Hirsch
Burkhard Hirsch war von 1994 bis 1998 Vizepräsident des Bundestages.

Selbst parlamentarische Mehrheiten sind nicht von der politischen Pflicht befreit, sich ernsthaft und nachhaltig um die Zustimmung des eigentlichen Souveräns zu bemühen, nämlich um die Zustimmung der überwiegenden Mehrheit der Bürger, die sie repräsentieren sollen. Ohne diese Rückkopplung verliert eine parlamentarische Demokratie Basis und Glaubwürdigkeit. Die "Repräsentanten" werden zur "politischen Klasse" - ein Unwort des Jahres -, die sich immer mehr auf ihre parlamentarische Mehrheit und ihre Rechtspositionen verlässt, und immer weniger auf die politische Kraft ihrer Argumente. Ein Bürger, der sich außerhalb des Systems zu Wort meldet, stört. Seine Einmischung wird als "Blockade", Verhinderung eines segensreichen Werkes empfunden.

Lesen Sie den vollständigen Kommentar hier.

Deutliche Worte von einem Menschen mit langjähriger politischer Erfahrung. Auslöser dieses Kommentars sind zwar die Ereignisse um "Stuttgart 21", doch sind die Erkenntnisse gehen weit über dieses Projekt hinaus. Herr Hirsch spricht die grundzüge der Demokratie an, und er tut es meisterlich:

"Die Leute haben durch die moderne Informationstechnik die Möglichkeit, sich an allen denkbaren Debatten zu beteiligen, sich zu äußern, Meinungen zu bilden und zu erfahren oder Aktionen gemeinschaftlichen Verhaltens ohne großen organisatorischen Apparat zu organisieren. Sie tun das auch - und stellen zu ihrer Überraschung fest, dass die Politik von ihren unverblümt verkündeten Meinungen schlicht keine Kenntnis nimmt. Über Jahrzehnte wurden sie aufgefordert, aus der Rolle der Zuschauer herauszutreten. Nun tun sie es, weil sie unzufrieden sind, und keiner will es hören."

Was für Bauprojekte recht ist, muss um so mehr dort billig sein, wo es um den ureigensten Schutzraum des Bürgers geht: seine Familie. Schließlich ist deren Schutz sogar im Grundgesetz verankert.

Auch für die Familienpolitik gilt:


"Elemente der direkten Demokratie sind für die Politik unbequem. Sie ist gezwungen, zum Bürger zu gehen, ihre Vorhaben zu erklären, für sie zu werben, die Zustimmung der Mehrheit der Betroffenen einzuholen, und dabei möglicherweise zu scheitern. Na und?"

Vielen Dank, Herr Hirsch!

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