Donnerstag, 31. Januar 2008
 
Verurteilung wegen Rechtsbeugung fast unmöglich
Auszug aus einer Frage an MdB Hans-Christian Ströbele und seiner Antwort auf dem Portal Abgeordnetenwatch:

Dominik Strauss:
Im Fall des türkischen Vaters Görgülü wurde Deutschland im Jahr 2004 durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt.
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In diesem nun unglaubliche 8 Jahre andauerndem Fall wurde dem zuständigem Senat des OLG Naumburgs durch das Bundesverfassungsgericht Willkür und eine Umgehung der ZPO attestiert. Die Staatsanwaltschaft erhoben darauf gegen den kompletten Senat des OLG Naumburg Anklage wegen Rechtsbeugung.
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Herr Ströbele, stimmen Sie mir zu, dass wenn dieses Urteil des AG Halle bestand hat, es de facto in Deutschland unmöglich ist einen OLG-Senat wegen Rechtsbeugung zur Verantwortung zu ziehen.

Hans-Christian Ströbele:
Für eine Verurteilung eines Richters wegen Rechtsbeugung müßte festgestellt werden, daß dieser vorsätzlich und zwar mit direktem Vorsatz das Recht gebeugt hat. Dies ist ohne Geständnis nur ganz selten möglich.

Das ist übrigens auch der Grund, warum im Nachkriegswestdeutschland nicht ein einziger Richter des Volksgerichtshofes rechtskräftig verurteilt wurde.
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So bleibt ein schaler Nachgeschmack, aber ohne Änderung des Gesetzes ist eine Verurteilung in solchen Fällen nicht zu erwarten.

Lesen Sie den vollständigen Text hier.

Dem bleibt nur noch hinzuzufügen, dass wegen des sog. "Spruchrichterprivilegs" (§ 839 Abs. 2 BGB) ein Richter bei dem Urteil in einer Rechtssache für den aus einer Amtspflichtverletzung entstehenden Schaden nur dann verantwortlich ist, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht.

Das nennt man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Wenn man den Richter nicht wegen Rechtsbeugung verurteilen kann, braucht der Staat dem Bürger seinen Schaden nicht zu ersetzen. Wer sagt denn, dass unser Gesetzeswerk Lücken hätte? Im Gegenteil - es ist an alles gedacht!

Nachgefragt 1


Franz Romer:
Jeder der Naumburger OLG Richter hätte ja eine gegenteilige Meinung in den Beschluss eintragen lassen können, wenn er den Senatsbeschluß nicht hätte mittragen wollen. Nachdem in diesem Beschluss nichts steht, kann ja nur davon ausgegangen werden, dass alle drei Richter der gleichen Meinung waren.

Hans-Christian Ströbele:
Von der Mehrheit abweichendes Abstimmungsverhalten wird in Strafverfahren in die Entscheidung nicht aufgenommen. Das ist in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anders. In Strafverfahren wäre dies jedenfalls mit Nennung des Namens des Abweichende mit Rücksicht auf das Beratungsgeheimnis auch nicht zulässig. Das Beratungsgeheimnis ist in der §§, 43 und 45 Deutsches Richtergesetz gesetzlich festgelegt. Manche Kollegialgerichte deuten lediglich an, daß eine Entscheidung nicht einverständlich getroffen wurde, aber eben ohne Nennung der Namen.

Lesen Sie den vollständigen Text hier.

Nachgefragt 2


Thomas Porombka:
in Ihrer Antwort vom 29.01.2008 an Herrn Dominik Strauss schrieben Sie:
"Für eine Verurteilung eines Richters wegen Rechtsbeugung müsste festgestellt werden, dass dieser vorsätzlich und zwar mit direktem Vorsatz das Recht gebeugt hat."

Diese Erfordernis ist mit dem Wortlaut des § 339 StGB nicht in Einklang zu bringen; sie entspringt vielmehr der sog. "richterlichen Fortbildung des Rechts". Diese richterliche Fortbildung ist jedoch grundgesetzwidrig, da sie dem Prinzip der Gewaltenteilung widerspricht.
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Was beabsichtigen Sie, was beabsichtigt Ihre Fraktion dagegen zu unternehmen, dass Richter in zunehmendem Maße den eindeutigen Wortlaut verbindlicher Rechtsnormen außer Kraft setzen und das Recht ... zu ihrer gegenseitigen Rechtfertigung beugen?

Hans-Christian Ströbele:
Sie haben recht, der Gesetzgeber muß Klarheit schaffen, wenn ein Gesetz von der Rechtsprechung anders ausgelegt und angewandt wird, als es seinen gesetzgeberischen Intentionen entspricht.
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In der Fassung des § 339 StGB fehlt das Wort "vorsätzlich". Mit der Neufassung wurde klargestellt, das absichtliches oder wissentliches Handen nicht erforderlich ist, sondern bedingter Vorsatz ausreichen soll. Das hatte der Gesetzgeber - wie sie es jetzt verlangen - zur Anwendung vorgegeben. Die Rechtsprechung verlangt deshalb auch nicht mehr den direkten Vorsatz, aber einen bewußten Rechtsbruch wegen der der richterlichen Unabhängigheit, der nach Art 97 des Grundgesetzes Verfassungsrang zukommt.
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Eine "Fortbildung des Rechts" durch die Gerichte war immer wieder auch mal hilfreich und manchmal sogar notwendig.
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Die Fortbildung des Rechts bleibt vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers. Auch damit haben sie recht.

Lesen Sie den vollständigen Text hier.

Nachgefragt 3


Thomas Porombka:
bitte gestatten Sie mir wegen der großen Bedeutung des Falls Görgülü eine Zusatzfrage: In Ihren Antworten haben Sie mehrfach die richterliche Unabhängigkeit hervorgehoben. Diese ist jedoch nach Art. 97 Abs. 1 GG untrennbar an die Unterwerfung des Richters unter das Gesetz gebunden.
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Wie sehen Sie als Jurist im Spannungsfeld der beiden Halbsätze des Art. 97 Abs. 1 GG die daraus erwachsenden Konsequenzen für den Tatbestand der Rechtsbeugung? Mein Bestreben ist nicht die Abänderung von Gesetzen, sondern ihre Anwendung in der vom Gesetzgeber gewollten und präzise formulierten Weise. Dies betrifft ausdrücklich auch den § 339 StGB.

Hans-Christian Ströbele:
Die Richter bestätigen mit ihrer Unterschrift, daß die Entscheidung und deren Begründung dem Verlauf der Beratung entspricht. Die Unterschrift eines Richters kann auch durch eine andere ersetzt werden, wenn er verhindert ist.

Die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 GG darf im Rechtsstaat nicht angetastet werden. Die Richter sind andererseits an die geltenden Gesetze gebunden (ebenfalls Art. 97 Abs. I GG), aber bei deren Auslegung bleibt ein weiter Raum.

Lesen Sie den vollständigen Text hier.

Leider macht sich nun auch Herr Ströbele die Mär von dem "weiten Raum" bei der Auslegung der Gesetze zu eigen. Wenn beispielsweise der Gesetzgeber in § 1684 BGB festgelegt hat:

(1) Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt.
(4) Das Familiengericht kann das Umgangsrecht oder den Vollzug früherer Entscheidungen über das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht oder seinen Vollzug für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre.

dann ist das eindeutig und keiner Auslegung zugänglich. Ein Richter, der über vier Jahre eine vollständige Umgangsvereitelung untätig duldet, ohne einen förmlichen Beschluss zu fassen, verstößt ebenso gegen das Gesetz wie ein Richter, der den Umgang ausschließt, ohne dies zu begründen. Ein Richter, der über einen Beschluss über einen Antrag auf Umgang an Weihnachten mit den Worten "Wenn es nach mir ginge, könnte Weihnachten ganz ausfallen" verweigert, gibt damit allenfalls seine eigene ideologische Einstellung zu christlichen Werten bekannt, nicht jedoch den eindeutigen Willen des Gesetzgebers. (Pikantes Detail am Rande: Besagter Richter und die Anwältin der umgangsverweigernden Mutter brüsteten sich während der mündlichen Verhandlung damit, Mitglied des Kirchenvorstandes seiner Gemeinde zu sein.)

Es trifft auch nicht zu, dass die Unterschrift eines Richters lediglich bestätigt,
"dass die Entscheidung und deren Begründung dem Verlauf der Beratung entspricht", denn ohne diese Unterschrift würde der Beschluss nicht rechtskräftig. Und gerade wenn es so wäre wie von Herrn Ströbele angegeben, dürfte die Unterschrift eines Richters nicht durch eine andere ersetzt werden, denn wie bitteschön soll ein Richter die Übereinstimmung eines Beschlusses mit einer Verhandlung bestätigen, an der er nicht teilgenommen hat?

Das ganze Gebäude weist große Ungereimtheiten auf, die seine Standsicherheit schwer beeinträchtigen. À propos Standsicherheit: Was würde wohl die Öffentlichkeit dazu sagen, wenn ein Architekt behaupten würde, dass er mit seiner Unterschrift nur bestätige, dass die Baupläne mit den Unterredungen mit dem Bauherrn übereinstimmten - in Bezug auf Statik und Baurecht übernähme er aber keine Verantwortung?

An diesem Beispiel sieht man sehr deutlich, mit welchen Ausflüchten sich die Richterschaft von der Verantwortung für die Folgen ihrer Entscheidungen lossagen will. Richtig und gut ist, dass einem Richter aus einer "missliebigen", aber gesetzeskonformen Entscheidung keine Nachteile erwachsen dürfen. Verstößt er aber gegen eindeutig formulierte Gesetzesnormen, so muss er dafür ebenso zur Verantwortung gezogen werden können, wie jeder andere Bürger auch.

Es sollte zu denken geben, dass auch Herr Ströbele von einem
"schalen Nachgeschmack" spricht. Schon nach den Regeln der mathematischen Statistik ist es hochgradig unwahrscheinlich, dass sich seit 1945 kein deutscher Richter der Rechtsbeugung schuldig gemacht haben soll.

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An dieser Stelle muss positiv herausgestellt werden, dass Herr Ströbele allen Fragestellern schnell und umfassend geantwortet hat. Das wird durchaus nicht von allen Abgeordneten so gehandhabt, und dafür gebührt ihm unser Dank! Seine Antworten zum Fall Görgülü verdienen es in jedem Falle, im Volltext gelesen zu werden.

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