Sonntag, 1. Juli 2007
 
Zu wem gehört das Kind?
Wenn Eltern sich trennen: Über Rechte und Ansprüche von Müttern und Vätern, über Zumutungen von Richtern und Leiden von Kindern ein Gespräch mit dem Juristen Ludwig Salgo
Berliner Zeitung 30. 06. 2007
Birgit Walter

Zwölf Jahre lang tobte in einer deutschen Großstadt ein bizarrer Umgangs- und Sorgerechtsprozess, der im April 2007 sein vorläufiges Ende fand. Erbittert gekämpft wurde um heute 14-jährige Zwillinge, die Gerichtsprozessen und Begutachtungen ausgesetzt sind, seit sie denken können. Sie waren zwei Jahre alt, als sich ihre Eltern trennten. Ihren Vater, einen Amerikaner, der sich nur gelegentlich in Deutschland aufhält und kein Deutsch spricht, kennen sie fast gar nicht. Dennoch lehnen sie ihn rundweg ab. Dazu dürften sie von ihrer Mutter stark beeinflusst worden sein. Sie versuchte, jeden Kontakt der Kinder zu ihrem Vater zu verhindern. Als die Zwillinge 12 Jahre alt waren, wurden sie eines Tages von Polizisten aus der Schule geholt und in ein Kinderheim verbracht - eine klare Strafaktion gegen die unbotmäßige Mutter. Der Vorwurf: Sie gefährde durch Dominanz ihre Kinder. Die Zwillinge waren dann neun Monate im Heim, bis sie die Mutter nach einem Besuch zu Hause nicht zurückbrachte. 2005 bekam der Vater in Amerika allein das Sorgerecht. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht dagegen blieb bei einem Pfleger, der die Kinder bei der Mutter ließ. Ziel des letzten Prozesses war für den Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht, um die Kinder in einem Internat unterzubringen, die Mutter wollte das Sorgerecht zurück. Die beiden 14-Jährigen verlangten, bei der Mutter zu bleiben und endlich in Ruhe gelassen zu werden. Acht Richter, fünf Anwälte, ungezählte Verfahrenspfleger und Gutachter waren mit den Kindern befasst. Und der Erfolg dieser Aktenschlacht: Der Vater hat seine Kinder in all den Jahren insgesamt sechs Stunden gesehen. Das letzte Urteil begründete die Richterin streng aus der Perspektive der Kinder. Sie seien gesund und selbstbewusst, schulisch und sozial gut integriert und hätten ihren Lebensmittelpunkt bei der Mutter, weswegen sie ihren Wunsch nicht länger ignorieren werde. Die Mutter hat nun allein das Sorgerecht. Das Jugendamt muss dem Vater regelmäßig über die Entwicklung der Kinder berichten.

Vollständige Nachricht siehe hier.
Leserbriefe zu dem Artikel siehe hier.

Und wieder einmal haben die Frankfurter Familiengerichte zugeschlagen. Dort ist es kein Einzelfall, dass Mütter, die sich über rechtskräftige Gerichtsbeschlüsse zu Umgang und Sorge hinwegsetzen, mit dem alleinigen Sorgerecht belohnt werden, seien sie auch noch so ungeeignet.

Noch am 11. 05. 2005 hatte das OLG Frankfurt am Main im Fall der Zwillinge Folgendes beschlossen: (Orientierungssatz des Beschlusses Az. 1 UF 94/03)


Bindet ein Elternteil zwölfjährige Kinder derart eng und übermächtig an sich, dass diese im Verhältnis zu ihm kaum die Möglichkeit haben, sich eigenständig zu entwickeln, so ist dies ein das Wohl der Kinder nachhaltig berührender Grund im Sinne des § 1696 Abs.1 BGB. Er gibt Anlass, die Regelung des Sorgerechts zu überprüfen. Bei einem von einem Elternteil induzierten Willen eines Kindes ist zu bedenken, ob das Kind ihn sich selbst zu eigen gemacht hat. In diesem Fall ist zu prüfen, ob es mit dem Kindeswohl vereinbar ist, ihn zu übergehen oder ob dies dann zu einer für das Kind schädlichen Entwicklung führen würde. Ist ein Elternteil ungeeignet, die elterliche Verantwortung wahrzunehmen, so steht einer Übertragung der alleinigen elterliche Sorge auf den anderen erziehungsgeeigneten Elternteil nicht entgegen, dass die Kinder derzeit nicht bei ihm leben können, weil sie dies wegen eines induzierten Willens nachdrücklich ablehnen. In diesem Fall kann das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf einen Ergänzungspfleger übertragen werden. Mit der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Ergänzungspfleger kann die Verpflichtung verbunden sein, mit dem sorgeberechtigten Elternteil Kontakt zu halten und ihn zu informieren, damit er für die Kinder anstehende Entscheidungen treffen kann. Der Ergänzungspfleger ist dann gehalten, das Aufenthaltsbestimmungsrecht so auszuüben, dass die Entscheidungen des sorgeberechtigten Elternteils beachtet werden.

Aus den Gründen:

Durch die angefochtene Entscheidung hat das Amtsgericht der Mutter das Personensorgerecht für die Zwillinge G. und Sh., Kinder aus der geschiedenen Ehe des Antragstellers und der Antragsgegnerin, entzogen und auf das Jugendamt als Pfleger übertragen. Wegen des problematische Verhaltens der Mutter, zu dem gehörte, dass sie über Jahre Gerichtsentscheidungen nicht beachtete und dem Vater Kontakte zu seinen Kindern verwehrte, hatte das Jugendamt die Eignung für die elterliche Sorge bei der Mutter in Frage gestellt. Sowohl dem Jugendamt wie auch der Verfahrenpflegerin der Kinder verweigerte die Mutter den Kontakt zu diesen. Ein vom Amtsgericht in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten zur Klärung der Frage, ob das Wohl der Kinder bei einem Verbleib im mütterlichen Haushalt gefährdet wäre, konnte nicht erstattet werden, weil sich die Mutter bei der Sachverständigen auf keine Termine einließ. Auch die Verfahrenspflegerin hatte sich angesichts aller Umstände für einen Entzug der Personensorge ausgesprochen.

(...)

Auf Grund der bis dahin getroffenen Feststellungen erstattete der Sachverständige ein Gutachten vom 25.1.2004, in dem er im Hinblick auf die Mutter zu dem Ergebnis kam, diese wolle alle Dinge kontrollieren, habe ein Omnipotenzgefühl und glaube allein zu wissen, was gut für Ihre Kinder sei. Sie lasse ihre Kinder nicht aus den Augen, und das nicht nur im Rahmen des Verfahrens. Sie habe Angst vor Kontrollverlust, verhalte sich impulsiv, ihre Stimmung wechsele plötzlich, ihre Reaktionen seien manchmal nicht nachvollziehbar, und es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sie sich auch in Alltagsangelegenheiten so verhalte. Er zitierte aus einem Vorgutachten, dass die Gefahr nicht voraussagbarer Handlungen der Mutter bestehe. Für die Kinder machte er am Beispiel der Beziehung zum Vater deutlich, dass diese gegenüber der Mutter keine Gelegenheit zu eigener Meinungs- und Willensbildung hätten. Es sei wichtig, für die Kinder eine Situation zu schaffen, in der dies möglich wäre. Hierzu hielt es der Sachverständige für erforderlich, die Kinder aus der mütterlichen Wohnung herauszunehmen. Erst dann könne auch abgeklärt werden, welche weiteren psychischen Folgen eingetreten seien.

Besonders interessant ist der folgende Absatz:

Auf Drängen zweier Frankfurter Familienrechtslehrer beabsichtigte das Jugendamt Anfang Dezember 2004, die Kinder zur Mutter zurückzuführen. Es teilte dies der Heimleitung mit und forderte diese auf, den Senat hierüber nicht zu informieren. Der Senat, dem dies zur Kenntnis gebracht wurde, verfügte daraufhin durch einstweilige Anordnung vom 8.12.2004, dass der Aufenthalt der Kinder bis zur Vorlage des gerichtlich angeordneten Sachverständigengutachtens nicht verändert werden darf. Am 19.12. brachte die Mutter die Kinder nach einem vereinbarten Umgangskontakt nicht in das Heim zurück und tauchte mit ihnen unter. Um der Mutter eine Brücke zu bauen setzte der Senat durch Beschluss vom 22.12.2004 die Vollziehung seines Beschlusses vom 8.12.2004 bis zum 27.12.2004 aus, nachdem die Mutter über ihre Anwältin zugesichert hatte, sie werde die Kinder am 27.12. freiwillig wieder in das Heim zurück bringen, wenn sie zuvor mit ihnen die Weihnachtsfeiertage verbringen dürfe. Diese Zusage hielt die Mutter nicht ein und blieb mit den Kindern untergetaucht.

Vollständiger Wortlaut des Beschlusses von 2005 siehe hier.
Dieser Beschluss wurde am 03. 09. 2006 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von der Berliner Rechtsanwältin Esther Caspary unter dem bezeichnenden Titel "Omnipotente Mütter" kommentiert.

Es ist ein weiterer Fall bekannt, in dem ein Jugendamt eine Mutter aktiv dabei unterstützt hat, dem allein sorgeberechtigten Vater ein Kind zu entziehen. Auch dieses Jugendamt beruft sich zur Rechtfertigung seiner Handlungsweisen auf die selben "Familienrechtslehrer". Auch in diesem Fall wurde von dem selben Familiensenat des OLG Frankfurt das Sorgerecht auf die Mutter übertragen (Beschluss nicht veröffentlicht).

Das ist eine weitere Bankrotterklärung der hessischen, wenn nicht der deutschen Familienjustiz. Selbst der Satz: "Unsere Beschlüsse sind sehr edel mit dem hessischen Löwen darauf. Aber wenn sich ein Elternteil nicht daran halten will, können wir gar nichts dagegen machen", den eine Richterin just dieses Familiensenats in öffentlichen Vorträgen verwendet, entpuppt sich beim Lesen der Berliner Zeitung als Salgo-Zitat. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Prof. Salgo sei inzwischen zum heimlichen Vorsitzenden des 1. Familiensenats am OLG Frankfurt avanciert.

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