Donnerstag, 23. August 2007
 
Kein gemeinsames Sorgerecht
Rheingau-Taunus-Kreis lehnt das "Cochemer Modell" ab
Frankfurter Allgemeine Zeitung 30. 12. 2004

RHEINGAU-TAUNUS-KREIS. Die Kreisverwaltung lehnt nach umfangreichen Recherchen die Einführung des "Cochemer Modells" ab, dessen Kern das fortbestehende gemeinsame Sorgerecht der Eltern auch nach einer Scheidung oder dauerhaften Trennung ist. Das Sorgerecht wird im Kreis Cochem somit nicht nur einem der beiden Elternteile zugesprochen.

Diese modellhafte "einseitige Präferenz für die gemeinsame elterliche Sorge" ist nach Ansicht der Kreisverwaltung "in vielen Fällen nur eine Scheinlösung", mit der die tiefgreifenden Konflikte und gegenseitigen Verletzungen, die zwischen den Eltern im Zuge der Trennung entstanden sind, nicht gelöst werden können. Das führe dazu, dass die Konflikte auf den Streit um das Umgangsrecht verlagert würden.

Die nähere Beschäftigung mit dem bundesweit bekannten Modell, das aber nur wenige Nachahmer gefunden hat, geht auf einen Antrag der FWG-Fraktion im Kreistag zurück. In Cochem war 1992 nach einer Gesetzesänderung zur Mitwirkung des Jugendamts in Verfahren vor den Vormundschafts- und Familiengerichten ein Arbeitskreis aus Vertretern des Familiengerichts, der Beratungsstellen, des Jugendamtes, der Rechtsanwälte und relevanter Interessengruppen gebildet worden. Im amtlichen Verfahren zum Sorgerecht müssen die Eltern dem Familiengericht seither eine Vereinbarung zur gemeinsamen elterlichen Sorge vorlegen. Die Kreisverwaltung verweist allein schon auf die gravierenden strukturellen Unterschiede zwischen dem Kreis Rheingau-Taunus und dem nur ein Drittel so großen, ländlichen Kreis Cochem mit nur einem Familiengericht. Schon organisatorisch scheitere eine Übernahme.

Wärend der Kreis Cochem jedoch einseitig der "gemeinsamen elterlichen Sorge" Priorität gebe, sei dies im Rheingau-Taunus-Kreis das "Wohl des Kindes", heißt es in einer Gegenüberstellung aus dem Bad Schwalbacher Kreishaus.

Die Praxis zeige, dass die Umgangsregelungen weitaus strittiger seien als die Regelungen des Sorgerechts. Die "vielbeschworenen Erfolge" des Cochemer Modells scheinen dem Rheingau-Taunus-Kreis "realitätsfern", und sie deckten sich auch nicht mit den Erfahrungen der Rechtsanwälte und des Bundesverbandes alleinerziehender Väter und Mütter: "Es nützt den betroffenen Eltern und Kindern nicht das geringste, die gesellschaftliche Realität schönzumalen." Nicht die Einigung der Eltern sei das wichtigste Ziel einer Beratung, sondern das Kindeswohl.

Es gebe aber auch keine Rechtsgrundlage, die Eltern zu einer Beratung zu verpflichten. Zudem habe eine Umfrage unter zahlreichen Jugendämtern in Rheinland-Pfalz ergeben, dass kein einziges Jugendamt das "Cochemer Modell" umgesetzt habe. Vielmehr stimmten alle Befragten in einem Punkt überein: "Das Cochemer Modell ist nicht auf andere Landkreise und Städte übertragbar."

Diese Meldung ist nunmehr fast drei Jahre alt. Sie hat nichts an Aktualität verloren und wird hier in Erinnerung gerufen, um zu verdeutlichen, dass Justizminister und Sozialministerin viel zu tun haben werden, wenn sie die starre Haltung dieser hartgesottenen Jugendamts-Mitarbeiter aufbrechen wollen. Schon Macchiavelli wusste: "Wenn der Teufel die Menschen in Verwirrung bringen will, bedient er sich dazu der Idealisten."

Das zitierte Jugendamt erhielt übrigens als Antwort auf den Artikel in der FAZ ein "spontanes" Schreiben der Professoren Salgo und Zenz, in dem sie die Haltung des Jugendamtes begrüßten. Mit diesem Schreiben hat das Jugendamt dann seine einseitige Haltung im Kreistag begründet. Zur Durchsetzung seiner Ideologie verstößt das Jugendamt dann auch mal ganz locker gegen Gerichtsbeschlüsse. Dem Gericht gegenüber rechtfertigt es sich mit den Worten "Wir waren nie mit dieser Sorgeregelung einverstanden."

Das Jugendamt als "Supergericht", das "Irrtümer" der Familiengerichte kontrolliert? Das Prinzip der Gewaltenteilung ist auf der Strecke geblieben.

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